Die Möglichkeit einer Insel
Zwei Schweizer kämpfen um den letzten Rest Atlantischen Regenwaldes – bis aufs Blut.
Vor genau 30 Jahren wanderte die Landwirtin Christine Hostettler mit ihrem Mann Hans, einem Seefahrer, aus dem Berner Oberland nach Paraguay aus. Ihnen war es zu eng geworden in der Schweiz. „Wir hätten bestenfalls etwas Land pachten können, aber wir wollten unser eigenes, wollten Wurzeln schlagen“, erinnert sich die Schweizerin.
Mitten im Urwald kauften sie 250 Hektar Boden. Knapp die Hälfte davon rodeten sie, schufen sich unter jahrelangen Mühen eine Insel in der Wildnis bei San Rafael im Süden des Landes. Aber sie waren nicht die Einzigen. Der einsetzende Soja-Boom und die steigenden Preise für Rindfleisch trieben Investoren von überall her in die Gegend. Auch sie rodeten, nutzten die fruchtbare rote Erde. Der Wald um die Hostettlers schrumpfte. Knapp sieben Prozent sind nur noch übrig von dem einst zwei Millionen Quadratkilometer großen atlantischen Regenwald. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Soja-Nachfrage reißt nicht ab, auch wegen des Preisverfalls auf dem Weltmarkt. Die eiweißreiche Frucht stopft europäische Mäuler, vor allem deutsche. Soja dient als Futtermittel in der Viehhaltung.
Wo einst riesige Bäume in den Himmel ragten und dichtes Gestrüpp stand, wachsen heute Soja und Weizen. Plantagen, so weit das Auge reicht, durchtrennt von roten Sandpisten. Eine grüne Insel hält sich noch in dem gelben Meer - das Reservat San Rafael. Der Staat hatte 1992 das 700 Quadratkilometer große Areal unter Schutz gestellt. Doch er konnte es nie verteidigen. Selbst der Rodungsstopp 2005 kann die Erosion der grünen Insel in der Größe Hamburgs nicht aufhalten. Kleinbauern und Eingeborene bedienen sich, fällen ein paar Bäume und verkaufen das teure Holz illegal weiter. Und sie wildern. Der subtropische Regenwald beherbergt eine unglaubliche Artenvielfalt und Dutzende bedrohte Tierarten. Aber auch die Großgrundbesitzer wollen Gewinn aus ihrer Investition schlagen und roden. Die Polizei schaut zu. Hans und Christine wollten nicht mehr zuschauen, 1997 gründeten sie den Pro Cosara Verein. Sie sammelten weltweit Spendengelder, um „ihre“ Insel zu verteidigen. 6100 Hektar Wald konnten sie damit kaufen, WWF hat 2004 ein Ultraleichtflugzeug bezahlt, um illegale Rodungen aufzuspüren. Sechs Ranger wachen über das Reservat, sie stellen Wilderer und Holzdiebe - mit Waffengewalt. Denn der Kampf um das Holz wird mit harten Bandagen geführt. Christine Hostettler musste das am eigenen Leib erfahren. Am 27. April diesen Jahres stand plötzlich ein Mann in ihrer Tür. Er war vermummt, richtete einen Revolver auf sie und drückte zwei Mal ab. Die agile Mitfünfzigerin konnte den Schüssen ausweichen, Hund Rocko schlug den Attentäter in die Flucht. „Sicher habe ich darüber nachgedacht aufzuhören, aber dann hätten sie ihr Ziel ja erreicht“, sagt die Aktivistin später. Wer „sie“ sind, lässt sich bis heute nicht feststellen. Die Hostettlers haben sich viele Feinde gemacht in San Rafael. Bei einem Treffen der ansässigen Guaraní-Häuptlinge werden die Parkwächter zwar freundlich empfangen, die Stimmung ist aber angespannt. Einige der Wächter sind selbst indigener Abstammung. Mit ihrer Pro Cosara-Uniform gelten sie zwischen den einfachen Holzhütten fernab der Zivilisation als Verräter. Die Parkwächter verteidigen die Gebiete der Waldbesitzer auch gegen Indianer – mit Waffengewalt. Zwei haben noch immer Schrot in Rücken und Nacken, ein Holzdieb hatte sich zur Wehr gesetzt.
Die Eingeborenen beharren jedoch darauf, dass sie die eigentlichen Besitzer des Waldes sind. Sie haben nur knapp siebentausend Hektar des Waldgebietes zugesprochen bekommen und schlagen immer wieder Holz in den angrenzenden Grundstücken. „Das alles war und ist unser Land“, erklärt Alberto Vazquez, Vertreter der Guaraní-Indianer im Departement Itapua. „Heute gehört es internationalen Unternehmen, ebenso wie das Wasser darunter“. Damit ist das Guaraní-Aquifer zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay gemeint, ein riesiges unterirdisches Süßwasservorkommen, das zweitgrößte der Erde. „Auch ihr trinkt daraus – illegal“, fährt er fort.
„Ihr“, damit meint er Großpflanzer, Viehzüchter und Agrarunternehmen aus Europa, Brasilien und den USA, die sich vor allem ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hier angesiedelt haben. Die, die aus dem „grünen Land“ ein „gelbes“ gemacht haben. Die, die es eng werden ließen im Süden. In der Gegend ist der Krieg um den Boden mittlerweile offen ausgebrochen. Kleinbauern, so genannte „Campesinos“, besetzen immer wieder Grundstücke und bebauen sie. Der designierte Präsident Lugo will die Landlosen unterstützen. Nach paraguayischem Gesetz habe jeder ein Recht auf Land, befindet er. Doch das Land ist inzwischen knapp. Und die Zeit drängt.
„Das wird eine Wüste hier, wenn das so weiter geht“, fürchtet die Schweizerin. Um drei Grad habe sich das Wasser im hauseigenen Brunnen bereits erwärmt. „Der restliche Wald ist inzwischen so trocken, dass es jedes Jahr zu Bränden kommt – früher mussten wir einen frisch geschlagenen Baum wochenlang liegen lassen, bis das Holz brannte“, führt sie aus. Sicher gebe es klimatische Aufs und Abs, schränkt Hostettler ein, doch hier ist die kritische Schwelle bereits überschritten. Die Folgen für die Landwirtschaft sind schon heute spürbar. Ungebremster Regen und Wind wäscht das Land aus, Ernten vertrocknen auf den Feldern. „Die Leute haben kein Umweltbewusstsein, sie haben rein wirtschaftliche Interessen“, ärgert sich Christine Hostettler. „Die einen bekommen nicht genug, die anderen sind zu faul, um mit dem Land, das sie haben, vernünftig zu wirtschaften“.
Aber sie will nicht richten, sondern vermitteln. Denn es sind gewaltige Fronten, die sich um das San Rafael Reservat aufgebaut haben. Und Hostettler steht dazwischen - sie will den Regenwald vertreten. Gegenüber den Waldbesitzern, den Großpflanzern, den Kleinbauern, den Eingeborenen und dem Staat Paraguay. Und sie will versuchen, eine Lösung zu finden, die alle zufrieden stellt. Aus der Bäuerin ist eine Politikerin geworden, eine Umweltaktivistin. Zähe Stunden am Verhandlungstisch, auf Konferenzen, Tagungen und Anhörungen, lange Briefe und Anträge bei internationalen Umweltschutzorganisationen bestimmen heute den Arbeitsalltag der Schweizerin. Immerhin, inzwischen gibt es Schulungen für die Feuerwehren, um die immer häufiger auftretenden Waldbrände zu bekämpfen. Auch Umwelterziehung und Aufforstungsprojekte für Kleinbauern bietet die Initiative. Den Regenwald kann das jedoch nicht retten. Ende des Jahres läuft die Schonzeit ab. Wenn bis dahin keine Lösung gefunden wurde, dann rücken die Sägen vor, dann verschwindet auch diese Insel. Keiner weiß, ob das hoch verschuldete Paraguay die Summe aufbringen kann, um die Besitzer gerecht zu entschädigen und einen Nationalpark zu errichten. Von der Politik hält die Schweizerin nicht mehr viel – zu oft wurde sie im letzten Moment im Stich gelassen. Deshalb glaubt sie auch nicht an Hilfe vom UN-Forum, dass vom 19. bis zum 30. Mai in Bonn stattfindet. Dort treffen sich die 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention über die biologische Vielfalt. 30 Milliarden Euro müssten laut einer Studie der Vereinten Nationen bis 2015 zusammen getragen werden, um weltweit Naturschutzgebiete auszubauen und bedrohte Arten zu retten. Nicht einmal ein Drittel des Geldes wurde bisher aufgebracht. Dass dabei für San Rafael etwas abfällt, ist schwer vorstellbar. „Wir sind selbst für Greenpeace zu klein“, bedauert Christine Hofstettler.
Vor genau 30 Jahren wanderte die Landwirtin Christine Hostettler mit ihrem Mann Hans, einem Seefahrer, aus dem Berner Oberland nach Paraguay aus. Ihnen war es zu eng geworden in der Schweiz. „Wir hätten bestenfalls etwas Land pachten können, aber wir wollten unser eigenes, wollten Wurzeln schlagen“, erinnert sich die Schweizerin.
Mitten im Urwald kauften sie 250 Hektar Boden. Knapp die Hälfte davon rodeten sie, schufen sich unter jahrelangen Mühen eine Insel in der Wildnis bei San Rafael im Süden des Landes. Aber sie waren nicht die Einzigen. Der einsetzende Soja-Boom und die steigenden Preise für Rindfleisch trieben Investoren von überall her in die Gegend. Auch sie rodeten, nutzten die fruchtbare rote Erde. Der Wald um die Hostettlers schrumpfte. Knapp sieben Prozent sind nur noch übrig von dem einst zwei Millionen Quadratkilometer großen atlantischen Regenwald. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Soja-Nachfrage reißt nicht ab, auch wegen des Preisverfalls auf dem Weltmarkt. Die eiweißreiche Frucht stopft europäische Mäuler, vor allem deutsche. Soja dient als Futtermittel in der Viehhaltung.
Wo einst riesige Bäume in den Himmel ragten und dichtes Gestrüpp stand, wachsen heute Soja und Weizen. Plantagen, so weit das Auge reicht, durchtrennt von roten Sandpisten. Eine grüne Insel hält sich noch in dem gelben Meer - das Reservat San Rafael. Der Staat hatte 1992 das 700 Quadratkilometer große Areal unter Schutz gestellt. Doch er konnte es nie verteidigen. Selbst der Rodungsstopp 2005 kann die Erosion der grünen Insel in der Größe Hamburgs nicht aufhalten. Kleinbauern und Eingeborene bedienen sich, fällen ein paar Bäume und verkaufen das teure Holz illegal weiter. Und sie wildern. Der subtropische Regenwald beherbergt eine unglaubliche Artenvielfalt und Dutzende bedrohte Tierarten. Aber auch die Großgrundbesitzer wollen Gewinn aus ihrer Investition schlagen und roden. Die Polizei schaut zu. Hans und Christine wollten nicht mehr zuschauen, 1997 gründeten sie den Pro Cosara Verein. Sie sammelten weltweit Spendengelder, um „ihre“ Insel zu verteidigen. 6100 Hektar Wald konnten sie damit kaufen, WWF hat 2004 ein Ultraleichtflugzeug bezahlt, um illegale Rodungen aufzuspüren. Sechs Ranger wachen über das Reservat, sie stellen Wilderer und Holzdiebe - mit Waffengewalt. Denn der Kampf um das Holz wird mit harten Bandagen geführt. Christine Hostettler musste das am eigenen Leib erfahren. Am 27. April diesen Jahres stand plötzlich ein Mann in ihrer Tür. Er war vermummt, richtete einen Revolver auf sie und drückte zwei Mal ab. Die agile Mitfünfzigerin konnte den Schüssen ausweichen, Hund Rocko schlug den Attentäter in die Flucht. „Sicher habe ich darüber nachgedacht aufzuhören, aber dann hätten sie ihr Ziel ja erreicht“, sagt die Aktivistin später. Wer „sie“ sind, lässt sich bis heute nicht feststellen. Die Hostettlers haben sich viele Feinde gemacht in San Rafael. Bei einem Treffen der ansässigen Guaraní-Häuptlinge werden die Parkwächter zwar freundlich empfangen, die Stimmung ist aber angespannt. Einige der Wächter sind selbst indigener Abstammung. Mit ihrer Pro Cosara-Uniform gelten sie zwischen den einfachen Holzhütten fernab der Zivilisation als Verräter. Die Parkwächter verteidigen die Gebiete der Waldbesitzer auch gegen Indianer – mit Waffengewalt. Zwei haben noch immer Schrot in Rücken und Nacken, ein Holzdieb hatte sich zur Wehr gesetzt.
Die Eingeborenen beharren jedoch darauf, dass sie die eigentlichen Besitzer des Waldes sind. Sie haben nur knapp siebentausend Hektar des Waldgebietes zugesprochen bekommen und schlagen immer wieder Holz in den angrenzenden Grundstücken. „Das alles war und ist unser Land“, erklärt Alberto Vazquez, Vertreter der Guaraní-Indianer im Departement Itapua. „Heute gehört es internationalen Unternehmen, ebenso wie das Wasser darunter“. Damit ist das Guaraní-Aquifer zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay gemeint, ein riesiges unterirdisches Süßwasservorkommen, das zweitgrößte der Erde. „Auch ihr trinkt daraus – illegal“, fährt er fort.
„Ihr“, damit meint er Großpflanzer, Viehzüchter und Agrarunternehmen aus Europa, Brasilien und den USA, die sich vor allem ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hier angesiedelt haben. Die, die aus dem „grünen Land“ ein „gelbes“ gemacht haben. Die, die es eng werden ließen im Süden. In der Gegend ist der Krieg um den Boden mittlerweile offen ausgebrochen. Kleinbauern, so genannte „Campesinos“, besetzen immer wieder Grundstücke und bebauen sie. Der designierte Präsident Lugo will die Landlosen unterstützen. Nach paraguayischem Gesetz habe jeder ein Recht auf Land, befindet er. Doch das Land ist inzwischen knapp. Und die Zeit drängt.
„Das wird eine Wüste hier, wenn das so weiter geht“, fürchtet die Schweizerin. Um drei Grad habe sich das Wasser im hauseigenen Brunnen bereits erwärmt. „Der restliche Wald ist inzwischen so trocken, dass es jedes Jahr zu Bränden kommt – früher mussten wir einen frisch geschlagenen Baum wochenlang liegen lassen, bis das Holz brannte“, führt sie aus. Sicher gebe es klimatische Aufs und Abs, schränkt Hostettler ein, doch hier ist die kritische Schwelle bereits überschritten. Die Folgen für die Landwirtschaft sind schon heute spürbar. Ungebremster Regen und Wind wäscht das Land aus, Ernten vertrocknen auf den Feldern. „Die Leute haben kein Umweltbewusstsein, sie haben rein wirtschaftliche Interessen“, ärgert sich Christine Hostettler. „Die einen bekommen nicht genug, die anderen sind zu faul, um mit dem Land, das sie haben, vernünftig zu wirtschaften“.
Aber sie will nicht richten, sondern vermitteln. Denn es sind gewaltige Fronten, die sich um das San Rafael Reservat aufgebaut haben. Und Hostettler steht dazwischen - sie will den Regenwald vertreten. Gegenüber den Waldbesitzern, den Großpflanzern, den Kleinbauern, den Eingeborenen und dem Staat Paraguay. Und sie will versuchen, eine Lösung zu finden, die alle zufrieden stellt. Aus der Bäuerin ist eine Politikerin geworden, eine Umweltaktivistin. Zähe Stunden am Verhandlungstisch, auf Konferenzen, Tagungen und Anhörungen, lange Briefe und Anträge bei internationalen Umweltschutzorganisationen bestimmen heute den Arbeitsalltag der Schweizerin. Immerhin, inzwischen gibt es Schulungen für die Feuerwehren, um die immer häufiger auftretenden Waldbrände zu bekämpfen. Auch Umwelterziehung und Aufforstungsprojekte für Kleinbauern bietet die Initiative. Den Regenwald kann das jedoch nicht retten. Ende des Jahres läuft die Schonzeit ab. Wenn bis dahin keine Lösung gefunden wurde, dann rücken die Sägen vor, dann verschwindet auch diese Insel. Keiner weiß, ob das hoch verschuldete Paraguay die Summe aufbringen kann, um die Besitzer gerecht zu entschädigen und einen Nationalpark zu errichten. Von der Politik hält die Schweizerin nicht mehr viel – zu oft wurde sie im letzten Moment im Stich gelassen. Deshalb glaubt sie auch nicht an Hilfe vom UN-Forum, dass vom 19. bis zum 30. Mai in Bonn stattfindet. Dort treffen sich die 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention über die biologische Vielfalt. 30 Milliarden Euro müssten laut einer Studie der Vereinten Nationen bis 2015 zusammen getragen werden, um weltweit Naturschutzgebiete auszubauen und bedrohte Arten zu retten. Nicht einmal ein Drittel des Geldes wurde bisher aufgebracht. Dass dabei für San Rafael etwas abfällt, ist schwer vorstellbar. „Wir sind selbst für Greenpeace zu klein“, bedauert Christine Hofstettler.
MichaImSueden - 20. Aug, 16:43