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Rundschau-Artikel

Mittwoch, 20. August 2008

„Und das hier ist Paraguay?“

Junge Mitarbeiter der französischen Botschaft und der Handelskammer besuchten die Expo in Neuland. Ihre Eindrücke von der mennonitischen Insel mitten in Paraguay.


„Und wir sind hier wirklich in Paraguay?“, fragen vier junge Franzosen, die zur Zeit für die Französische Handelskammer in Asunción oder die Botschaft arbeiten, bei ihrer Ankunft in Filadelfia. Sie wollten „raus aus der Hauptstadt und das Land kennen lernen“. Die Expo in Neuland nahmen sie zum Anlass, um einen Einblick in das Leben der Mennoniten im Chaco zu gewinnen. Vladimir Valdes Garcia, Rechtsreferendar an der Deutschen Botschaft in Asunción begleitet sie. Die weiten Sandstraßen der Hauptstadt der Kolonie Fernheims, Filadelfia, wirken auf die jungen Leute eher wie eine Westernstadt in Texas oder Australien als eine Kleinstadt im Herzen Südamerikas. Männer mit Cowboyhüten, auf Pferden oder in großen Pick-Ups bestimmen hier das staubige Straßenbild.
Der erste Eindruck auf der Expo in Neuland scheint das zu bestätigen. Waschechte Cowboys und Farmer begutachten das prämierte Vieh der 14. Ausstellung. Mannshohe Stiere und Pferde werden in der Arena vorgeführt, dazwischen Ziegen und Schafe. Einige Indianer lungern an den angrenzenden Koppeln und Feldern herum. „Zunächst hat mich die Armut und Ausgrenzung der Indígenas erschüttert“, sagt Cijril Lubrano Lavadera. Der 25-Jährige arbeitet für sechs Monate in der Französisch-Paraguayischen Handelskammer. „Aber dann habe ich erfahren, was die Mennoniten zusammen mit den Indianern auf die Beine gestellt haben“, ergänzt er. Schulen und Krankenhäuser gibt es inzwischen in der Wildnis, „aber es bleibt noch viel zu tun“, findet Lubrano. Das weiß auch der Oberschulze Edwin Reimer. „Aber wir fürchten hier keine ethnischen Auseinandersetzungen, die Mennoniten arbeiten intensiv mit den indigenen Bevölkerungsgruppen zusammen“, erklärt der Bürgermeister. Auch glaubt er nicht, dass es zu Landbesetzungen im Chaco kommen könnte. „Wir haben immer genau darauf geachtet, dass bei der Titelvergabe auf den Ländereien sorgsam gearbeitet wird – wer betrügt, verliert unsere Unterstützung“. Er glaubt eher, dass es zu religiösen oder ideologischen Konflikten im Chaco kommen könnte. Wegen der Zuwanderung der letzten Jahre habe sich vieles verändert. Daher begrüßt er das Interesse von Angela Merkel, die zuletzt in Lima beim EU-Lateinamerikagipfel dem designierten Präsidenten Fernando Lugo die Frage stellte, ob der Staat Paraguay das Eigentum der Mennoniten schützen wird. „Es ist schon gut zu wissen, dass sich Deutschland auch für uns einsetzt“, freut sich Reimer.
Mit dem Deutschen tun sich die vier Franzosen noch etwas schwer. „Es läuft Deutsche Musik und über Lautsprecher werden Verkaufsangebote in deutscher Sprache durchgegeben – das ist schon befremdlich so mitten in Südamerika“, wundert sich Annabelle Medina von der französischen Botschaft. Sie interessiert sich für die Geschichte der religiösen Auswanderer. Heinrich Braun, der deutsche Honorarkonsul vor Ort, hilft dabei gerne weiter. Er kennt die Unterschiede und geschichtlichen Hintergründe der verschiedenen Kolonien. Schon 1972 arbeitete er als Vertrauensmann der Deutschen Botschaft, 1994 wurde er zum Honorarkonsul ernannt. Es sei beschämend, dass die Mennoniten ausgerechnet wegen ihres Pazifismus aus Europa vertrieben wurden, finden die jungen Leute. Aber ebenso beeindruckend sei es, was sie ohne Waffen hier aufgebaut haben. Aber das können sie den blonden Bewohnern des Chacos nicht sagen. „Es ist schwierig, hier mit jemandem ins Gespräch zu kommen“ sagen sie bei Kaffee und Kuchen unter Bäumen. Doch die Mennoniten interessieren sich sehr wohl für die Fremden. Ein Team von TV Chaqueño setzt sich an den Tisch und interviewt die jungen Leute. Welches ihre Eindrücke vom Land und den Leuten sind, wollen sie wissen. Und natürlich, wie die Mennoniten-Kolonien auf sie wirken. Vladimir Valdes Gracia äußert seine Bewunderung über die Entwicklung im Chaco: „Es ist schon beeindruckend, was im Chaco über die letzten Generationen hinweg mit viel Fleiß, Eifer und Aufopferungsbereitschaft aufgebaut wurde. Aus der einstigen Wildnis ist heute ein bedeutender Wirtschaftsstandort mit einer durchorganisierten Infrastruktur geworden, wobei die Mennoniten beachtliche Sozialprojekte gestemmt haben“, findet der 27-Jährige.
Oberschulze Edwin Reimer gibt sich angesichts des Lobes bescheiden. „Wir machen aus dem, was Gott uns gegeben hat, das Beste“. Auf Europäer mag diese Religiosität auf den ersten Blick etwas befremdlich wirken. Wer aber näher hinschaut, versteht, was dahinter steckt.

Der Staat im Staate

Die eindrucksvollen Ruinen der Jesuitenreduktionen bei Trinidad und Jesús zeugen von einer längst vergangenen Zeit in Paraguay – die bis heute umstritten ist.


Mächtige Ruinen aus meterdickem Stein bauen sich am Horizont auf, wenn man auf einer Sandpiste das verschlafene Dorf Jesús im Westen des Landes durchquert. Vorbei an wackeligen Holzhütten steht man vor den Resten einer Kathedrale aus rotem Stein, die über die Hügellandschaft zu wachen scheint. Das Unesco-Welterbe ist einer der letzten Zeugen einer hoch umstrittenen Epoche – der Besiedelung Lateinamerikas durch Europäer.
Ganz Südamerika wurde ab dem 15. Jahrhundert von Spaniern und Portugiesen unterworfen. Ganz Südamerika? Auf dem Land der Guaraní-Indianer im südlichen Paraguay, also genau an der Grenze zwischen der portugiesischen und der spanischen Einflusssphäre, konnte sich die Bevölkerung den europäischen Eroberern widersetzen. Das geschah aber nicht allein aus eigener Kraft. Missionierende Ordensbrüder der Jesuiten erreichten auf einer richtungsweisenden Synode 1603 in Asunción die Trennung von Spaniern und Indígenas und das formelle Ende der Ausbeutung durch Sklaverei. Wahrscheinlich 70 Missionen schlossen die Jesuiten daraufhin lose zusammen. Ab 1609, also vor fast genau 400 Jahren, ist hier und in Europa von einem „Jesuitenstaat in Paraguay“ die Rede. Wichtigste Stützen dieses Staates waren die so genannten Jesuitenreduktionen.
„Reduktion“ leitet sich vom Zusammenführen verschiedener indianischer Dörfer auf eines ab. Rund 4000 Indianer lebten in so einer Siedlung, die immer nach dem gleichen Muster aufgebaut war. In der Mitte das Gotteshaus, davor ein großer Platz mit den Häusern für die Eingeborenen außen herum. Jede Familie sollte ein Haus bewohnen, um Monogamie zu gewährleisten. Das Wort „Reduktion“ wird nämlich auch als Reduzierung der indianischen Lebensweise auf arbeiten und beten verstanden. Viele Forscher sprechen heute von einer der Sklaverei ähnlichen Lebensweise der rund 200.000 Indígenas im Jesuitenstaat. Innerhalb der hohen Steinmauern, die den einstigen Waldbewohnern eigentlich Schutz vor den Menschenhändlern bieten sollten, lebten die Bewohner in fast kommunistischer Lebensweise zusammen – unter der patriarcharischen Führung der Glaubensbrüder. Die zwei bis drei Padres waren nicht nur für die geistige Führung gut. Unter ihren Anweisungen sollten die Indianer wie die Urchristen leben, zwei bis drei Tage hätten die Eingeborenen pro Woche arbeiten müssen, um ihren Anteil an der Gemeinschaft zu erbringen. Dieses Modell diente lange als Ideal auch für europäische Denker. Schnell gelangte der Glaubensstaat unter dem Schutz der katholischen Kirche zu immensem Reichtum, der sich auch in den Ruinen widerspiegelt.
Etwa 600 Meter von der Ruta 2 entfernt steht ein weiteres Weltkulturerbe, die Ruinen von Trinidad. Von der Frühstücksterrasse des deutschgeführten Hotels „A las Ruinas“ aus kann man sich einen Überblick über die einstige Jesuitenstadt machen. Im angeschlossenen „Kinocafé“ zeigt der Berliner Besitzer gerne den preisgekrönten Film „Die Mission“, der einen Einblick in die Jesuitenmissionierung auch in Trinidad gibt.
Die mächtige und einst so reiche Reduktion La Santisima Trinidad de Paraná wurde von einem italienischen Architekten entworfen, Juan Bautista Tripoli. Noch heute ist das ausgeklügelte Abwassersystem sichtbar, finden sich Überreste eines Dampfbades und Werkstätten, in denen ab dem Bau 1706 vornehmlich Instrumente hergestellt wurden. Die Missionierung der Guaraní soll weitgehend friedlich durch Musik erfolgt sein. Diese war schon lange ein fester Bestandteil der Guaraní-Kultur, die Missionare wussten das für sich zu nutzen. Reisende berichten von „paradiesischen Chören“, die feinen Instrumente der Indianer wurden in die ganze Welt verkauft. Rund 60 Jahre nach dem Bau der prosperierenden Reduktion in Trinidad machten sich die Padres ab 1763 12 Kilometer nordwestlich in Jesús de Tavarangue ans Werk. Mit Spiegeln verständigte man sich auch über die weite Distanz hinweg, gab Bauanweisungen und bestellte Nachschub. Doch Jesús wurde nie fertiggestellt. Der Reichtum und die Macht der Jesuiten war den Mächtigen in Europa schon lange ein Dorn im Auge – den Kolonialherren war er ein Stachel im Fleisch. 1767 vertrieben sie die Jesuiten aus dem Land. Die Guaraní flüchteten vor der Sklaverei in den Wald, die Missionen zerfielen. Aber noch 300 Jahre später können Besucher auf den beeindruckenden Schauplätzen in die paraguayische Geschichte eintauchen.

„Wir sind keine Opfer, wir sind Überlebende“

3500 Opfer der Diktatur Alfredo Stroessners kann das „Museum der Erinnerungen“ inzwischen benennen. Der Kampf für die Folteropfer in Paraguay feiert Erfolge – und steckt herbe Rückschläge ein.


„Plötzlich wurde er unruhig. Er knetete seine Hände, sein Blick suchte einen Fixpunkt am Horizont. Jeder Muskel seines Körpers wirkte angespannt. Der Auslöser war eine Badewanne am Niederrhein.“ Hermann Schmitz erzählt von seinen Erfahrungen mit dem paraguayischen Folteropfer Martín Almada, der sich lange auch in Deutschland aufhielt. Schmitz selbst war von 1973 bis 1977 als Lehrer in Paraguay tätig. Genau in diesem Zeitraum erlitt Almada die schrecklichen Qualen der Folter während der Stroessner-Diktatur. „Ich bin quasi wöchentlich an dem Gebäude neben der Post vorbeigegangen, Martín saß drei Stockwerke tiefer im Verlies“, erzählt der Lehrer. Heute unterstützt er mit der deutschen Pro Paraguay Initiative die Aufarbeitung der Militärdiktatur, die eng mit dem Namen Almada zusammenhängt. Der 80-Jährige bezeichnet sich als „Kämpfer“, nicht als „Opfer“. 1974 wurde der Kämpfer für die Menschenrechte Opfer der „Operation Condor“. Geheimdienstmitarbeiter hatten ihn aus seinem argentinischen Exil entführt und nach Paraguay verschleppt. Nach drei Jahren Folter wurde er auf internationalen Druck hin entlassen. Seine Frau war unterdessen an einer Herzattacke gestorben – man hatte ihr Tonbandaufnahmen von ihrem Mann vorgespielt.
Lange waren die Umstände und Hintergründe der Operation Condor ungeklärt – bis ausgerechnet Almada 1992 in Lambare ein Terrorarchiv entdeckte, dass die grausame Zusammenarbeit der Conosur-Geheimdienste ans Licht brachte und Hinweise auf US-amerikanische und französische Unterstützung enthielt. Almada deckte mehr und mehr Archive auf, stieß auf Gefangenen-Akten, Tonmitschnitte der Verhöre und Namen der Folterknechte. Bis heute muss keiner der Täter Konsequenzen fürchten. Die Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit hat zwar weitgehende Rechte, Regierungsvertreter in der Kommission bremsen jedoch ihre Arbeit. Viele Täter genießen heute aufgrund politischer Ämter Immunität oder haben während der Diktatur genug Reichtum angehäuft, um sich heute dahinter zu verstecken.
Aus diesem Grund hat sich Almada nun dem Kampf gegen das Vergessen verschrieben. Hauptquartier der Kämpfer ist das „Museum der Erinnerungen“ in der Avenida Chile. Regelmäßig tauschen sich die „Überlebenden“ hier aus, diskutieren oder führen Besucher herum. Präsidentin María Stella Cácernes will in Zukunft mit der bekannten französischen Historikerin Dr. Sonia Combe zusammenarbeiten, die jüngst das Museum besuchte. Denn es ist noch viel zu tun an dem Ort der Erinnerungen. Einige Ausstellungsräume sind noch „in Arbeit“, immer wieder wurden Steine in den Weg geräumt, es gibt nur wenig staatliche Hilfe. Mit einfachen Mitteln stellen sie im ersten Raum das System Stroessner dar. Im zweiten Raum kann der Besucher sich einen Eindruck von der „Operation Condor“ machen. Amerikaner hatten die Folterknechte ausgebildet, an der Wand hängt eine Teilnehmerliste einer dieser „Fortbildungsveranstaltungen“. „Wir wollen die Schuldigen benennen“, erklärt Cácernes, „und die Opfer rehabilitieren“. Einen ganzen Raum füllen deren Namen bereits. Rund 3500 sind es im Moment, meint die Direktorin, „im Sommer werden noch einmal 500 Neue dazukommen“, sagt sie. „Rund 10.000 Opfer wird es insgesamt gegeben haben“, schätzt Cácernes. Ganz abgesehen von den „Verschwundenen“, die es wohl langfristig auch bleiben werden.
Schauerliche Folterinstrumente veranschaulichen die Qualen der Opfer. Zangen, mit denen Finger- und Zehennägel herausgerissen wurden, liegen neben einem Bunsenbrenner und einem Apparat, mit dem den Gefangenen Stromschläge zugefügt wurden. Im hinteren Teil kann der Besucher die alten kargen Zellen betreten und versteht im letzten Raum, was Martín Almada am Niederrhein Schauer über den Rücken laufen ließ. In einer Ecke steht die Badewanne, die mit den Exkrementen der Häftlinge gefüllt wurde. Tagelang wurde Almada wie viele andere darin „gebadet“, „dazu lief Musik von Wagner“, erinnert er sich. Noch heute ist seine Lunge verätzt. Diese Art von Folter war eine „Spezialität“ der paraguayischen Behörden.
Almada und einige seiner Genossen kämpfen um Anerkennung. „Wir sind keine Opfer, wir sind Überlebende!“ „Wir kämpfen für Gerechtigkeit und die Erinnerung“.
Erinnerung ist dazu da, um aus Fehlern zu lernen. Darum geht es in diesem Museum. Und es gibt noch viel zu lernen. Amnesty International hat festgestellt, dass Polizisten in diesem Land bis heute zu Foltermethoden greifen. Vor allem Bauernführer hatte es in der jüngsten Vergangenheit getroffen. Sie warten immer noch auf ihren Prozess. Das Innenministerium spricht von „einzelnen Fällen“ und stellt baldige Aufklärung in Aussicht. Das Zeitalter der Folter ist in Paraguay noch nicht überstanden – und droht schon jetzt in Vergessenheit zu geraten.

Traditionelle Fischer am Rio Paraguay

Mächtig biegt sich die Remanso-Brücke im Morgengrauen über den Rio Paraguay. Etwas Nebel hat sich auf dem Fluss gesammelt und kriecht das Ufer hinauf, wo einige Polizisten einen Lastwagen überprüfen und die ersten Verkäufer ihre Stände beziehen. Auf dem Wasser des breiten Flusses treiben verloren einige kleine Ruderboote. Bis zu drei Mann versuchen von diesen bunten Nussschalen aus, mit einer Schnur bewaffnet dem Strom etwas Essbares zu entreißen. Die Kähne schwanken gefährlich, wenn bei dem ein oder anderen die Schnur spannt. Oft passiert das jedoch nicht.
Zwei Geländewagen mit großen Anhängern rauschen vorbei. Touristen auf dem Weg zu einem Seitenarm stromaufwärts. Wo genau es hingehen soll, wollen sie nicht verrraten, denn der Rio Paraguay gilt unter Anglern weltweit als Geheimtipp. Bis zu 200 Kilo schwere Surubis seien schon aus dem Wasser gezogen worden. Dazu gibt es allerlei spektakuläre Fische wie den goldgelben Dorado, der sich hervorragend auf Urlaubsfotos macht.
Aber neben den Hobby- und Nebenerwerbsanglern gibt es am Fluss auch viele Fischer, die sich und ihre Familien mit den Fängen ernähren müssen. Denen sind die Angler ein Dorn im Auge. „Inzwischen müssen wir 40 Kilometer und weiter fahren, um einen guten Fang zu machen“, meint Mauricio Knazaawa, einer der erfolgreichsten Fischer im Ort. Seit vielen Jahren schon läuft er von seinem Haus im Schatten der Remanso-Brücke mit seinem Boot aus. Fast zehn Meter ist seine „ASAH III“ lang, normalerweise hat er drei oder vier Angestellte mit dabei, die bei dem harten Job helfen. „Meist sind wir eine Woche unterwegs, in letzter Zeit oft zwei oder mehr“, sagt Knazaawa. Er sei schon bis an die Grenzen Boliviens und Brasiliens gefahren. Die Fische werden dann im Bauch des Schiffes bis zur Rückfahrt gekühlt.
Die Fischerei ist ein wichtiger Faktor in Paraguays Wirtschaft und macht zusammen mit der Landwirtschaft rund 15 Prozent des Bruttoinlandprodukts aus. Während Meeresfische meist aus Chile importiert werden, exportieren größere Unternehmen aus Paraguay viele Süßwasserfische vor allem nach Brasilien. Wenn die Netze aber einmal leer bleiben an der Remanso-Brücke, dann gibt es für die ganze Umgebung nichts zu essen. Alle hier am Ort leben mehr oder weniger vom Fischfang.
Wer nicht mit den Booten hinausfährt, der verarbeitet den Fisch im Hafen oder verkauft die Tiere an den Endkunden. Diese kommen meist am frühen Morgen hinunter ans Wasser und laden die Surubis, Pacus, Dorados oder Manguruyus direkt in ihre Autos. Großkunden findet man hier meist nicht. Rund 40.000 Guaranies werden für ein Kilo vom Surubi hingelegt, meint eine Verkäuferin. Er gilt als Delikatesse, nicht nur, weil er keine Gräten hat. Sonst ist die Gewinnmarge für die Fischer eher gering. Auch weil viel Arbeit drinsteckt. Wenn die Fische an Land kommen, werden sie dort meist von den Frauen gesäubert, aufgeschnitten und gewogen. Unter den Augen der Kunden filetieren junge Männer auf Wunsch die Ware. Der Fischgeruch über dem unbefestigten Hafen an der Remansobrücke scheint nie zu verschwinden. Die meisten dort hoffen das auch. Die Schwierigkeiten beim Fang haben ihnen zu Denken gegeben.
Naturschützer warnen schon seit langem, dass der Rio Paraguay überfischt wird. Auch Politiker sind bereits aktiv geworden und haben eine Schonzeit eingerichtet. Vom 1. November bis zum 20. Dezember ist der Fischfang untersagt, viel zu kurz, meinen Umweltschützer. Auch trifft sie nur die professionellen Fischer, die kleinen Angler aus den Elendsvierteln am Flussufer hingegen machen sich nichts daraus, schließlich geht es oft ums nackte Überleben.
Gerade mal zum nackten Überleben reiche auch das Geld, dass die Regierung den Fischern bereitstellt, wenn sie während der Schonzeit keine Einnahmen haben. „Die 7000 Guaranies reichen für Strom und Wasser aus, aber nicht mehr“, sagt Menacio Coronel, ein Kollege von Knazaawa. Er repariert gerade mit seinem Sohn das Boot, mit dem sie heute Morgen von einer mehrtägigen Fahrt zurückkamen. Am nächsten Tag wollen sie wieder auslaufen. Schließlich wollen sie das Ostergeschäft nicht verpassen.
Selbstverständlich würde der vierzehnjährige der Filius einmal die Familientradition fortführen. Seit nunmehr zwei Jahren lernt er von seinem Vater, was man beachten muss, wenn man hinausfährt. Die geheimen Buchten, an denen sich auch heute noch etwas fangen lässt, sind ein wohlgehütetes Geheimnis der Coronels. Ob auch sein Sohn noch die gleichen Stellen ansteuern können wird wie einst der Großvater, weiß Menacio nicht. Aber zu fischen wird es immer geben, meint er optimistisch.
Jetzt freuen sich die Fischer erst einmal auf das gute Ostergeschäft und das anschließende traditionelle Baden am Karfreitag. Die Wasser des Flusses sollen von bösen Geistern befreien und Kraft für das kommende Jahr geben.

Die Möglichkeit einer Insel

Zwei Schweizer kämpfen um den letzten Rest Atlantischen Regenwaldes – bis aufs Blut.

Vor genau 30 Jahren wanderte die Landwirtin Christine Hostettler mit ihrem Mann Hans, einem Seefahrer, aus dem Berner Oberland nach Paraguay aus. Ihnen war es zu eng geworden in der Schweiz. „Wir hätten bestenfalls etwas Land pachten können, aber wir wollten unser eigenes, wollten Wurzeln schlagen“, erinnert sich die Schweizerin.
Mitten im Urwald kauften sie 250 Hektar Boden. Knapp die Hälfte davon rodeten sie, schufen sich unter jahrelangen Mühen eine Insel in der Wildnis bei San Rafael im Süden des Landes. Aber sie waren nicht die Einzigen. Der einsetzende Soja-Boom und die steigenden Preise für Rindfleisch trieben Investoren von überall her in die Gegend. Auch sie rodeten, nutzten die fruchtbare rote Erde. Der Wald um die Hostettlers schrumpfte. Knapp sieben Prozent sind nur noch übrig von dem einst zwei Millionen Quadratkilometer großen atlantischen Regenwald. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Die Soja-Nachfrage reißt nicht ab, auch wegen des Preisverfalls auf dem Weltmarkt. Die eiweißreiche Frucht stopft europäische Mäuler, vor allem deutsche. Soja dient als Futtermittel in der Viehhaltung.
Wo einst riesige Bäume in den Himmel ragten und dichtes Gestrüpp stand, wachsen heute Soja und Weizen. Plantagen, so weit das Auge reicht, durchtrennt von roten Sandpisten. Eine grüne Insel hält sich noch in dem gelben Meer - das Reservat San Rafael. Der Staat hatte 1992 das 700 Quadratkilometer große Areal unter Schutz gestellt. Doch er konnte es nie verteidigen. Selbst der Rodungsstopp 2005 kann die Erosion der grünen Insel in der Größe Hamburgs nicht aufhalten. Kleinbauern und Eingeborene bedienen sich, fällen ein paar Bäume und verkaufen das teure Holz illegal weiter. Und sie wildern. Der subtropische Regenwald beherbergt eine unglaubliche Artenvielfalt und Dutzende bedrohte Tierarten. Aber auch die Großgrundbesitzer wollen Gewinn aus ihrer Investition schlagen und roden. Die Polizei schaut zu. Hans und Christine wollten nicht mehr zuschauen, 1997 gründeten sie den Pro Cosara Verein. Sie sammelten weltweit Spendengelder, um „ihre“ Insel zu verteidigen. 6100 Hektar Wald konnten sie damit kaufen, WWF hat 2004 ein Ultraleichtflugzeug bezahlt, um illegale Rodungen aufzuspüren. Sechs Ranger wachen über das Reservat, sie stellen Wilderer und Holzdiebe - mit Waffengewalt. Denn der Kampf um das Holz wird mit harten Bandagen geführt. Christine Hostettler musste das am eigenen Leib erfahren. Am 27. April diesen Jahres stand plötzlich ein Mann in ihrer Tür. Er war vermummt, richtete einen Revolver auf sie und drückte zwei Mal ab. Die agile Mitfünfzigerin konnte den Schüssen ausweichen, Hund Rocko schlug den Attentäter in die Flucht. „Sicher habe ich darüber nachgedacht aufzuhören, aber dann hätten sie ihr Ziel ja erreicht“, sagt die Aktivistin später. Wer „sie“ sind, lässt sich bis heute nicht feststellen. Die Hostettlers haben sich viele Feinde gemacht in San Rafael. Bei einem Treffen der ansässigen Guaraní-Häuptlinge werden die Parkwächter zwar freundlich empfangen, die Stimmung ist aber angespannt. Einige der Wächter sind selbst indigener Abstammung. Mit ihrer Pro Cosara-Uniform gelten sie zwischen den einfachen Holzhütten fernab der Zivilisation als Verräter. Die Parkwächter verteidigen die Gebiete der Waldbesitzer auch gegen Indianer – mit Waffengewalt. Zwei haben noch immer Schrot in Rücken und Nacken, ein Holzdieb hatte sich zur Wehr gesetzt.
Die Eingeborenen beharren jedoch darauf, dass sie die eigentlichen Besitzer des Waldes sind. Sie haben nur knapp siebentausend Hektar des Waldgebietes zugesprochen bekommen und schlagen immer wieder Holz in den angrenzenden Grundstücken. „Das alles war und ist unser Land“, erklärt Alberto Vazquez, Vertreter der Guaraní-Indianer im Departement Itapua. „Heute gehört es internationalen Unternehmen, ebenso wie das Wasser darunter“. Damit ist das Guaraní-Aquifer zwischen Brasilien, Argentinien und Paraguay gemeint, ein riesiges unterirdisches Süßwasservorkommen, das zweitgrößte der Erde. „Auch ihr trinkt daraus – illegal“, fährt er fort.
„Ihr“, damit meint er Großpflanzer, Viehzüchter und Agrarunternehmen aus Europa, Brasilien und den USA, die sich vor allem ab den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts hier angesiedelt haben. Die, die aus dem „grünen Land“ ein „gelbes“ gemacht haben. Die, die es eng werden ließen im Süden. In der Gegend ist der Krieg um den Boden mittlerweile offen ausgebrochen. Kleinbauern, so genannte „Campesinos“, besetzen immer wieder Grundstücke und bebauen sie. Der designierte Präsident Lugo will die Landlosen unterstützen. Nach paraguayischem Gesetz habe jeder ein Recht auf Land, befindet er. Doch das Land ist inzwischen knapp. Und die Zeit drängt.
„Das wird eine Wüste hier, wenn das so weiter geht“, fürchtet die Schweizerin. Um drei Grad habe sich das Wasser im hauseigenen Brunnen bereits erwärmt. „Der restliche Wald ist inzwischen so trocken, dass es jedes Jahr zu Bränden kommt – früher mussten wir einen frisch geschlagenen Baum wochenlang liegen lassen, bis das Holz brannte“, führt sie aus. Sicher gebe es klimatische Aufs und Abs, schränkt Hostettler ein, doch hier ist die kritische Schwelle bereits überschritten. Die Folgen für die Landwirtschaft sind schon heute spürbar. Ungebremster Regen und Wind wäscht das Land aus, Ernten vertrocknen auf den Feldern. „Die Leute haben kein Umweltbewusstsein, sie haben rein wirtschaftliche Interessen“, ärgert sich Christine Hostettler. „Die einen bekommen nicht genug, die anderen sind zu faul, um mit dem Land, das sie haben, vernünftig zu wirtschaften“.
Aber sie will nicht richten, sondern vermitteln. Denn es sind gewaltige Fronten, die sich um das San Rafael Reservat aufgebaut haben. Und Hostettler steht dazwischen - sie will den Regenwald vertreten. Gegenüber den Waldbesitzern, den Großpflanzern, den Kleinbauern, den Eingeborenen und dem Staat Paraguay. Und sie will versuchen, eine Lösung zu finden, die alle zufrieden stellt. Aus der Bäuerin ist eine Politikerin geworden, eine Umweltaktivistin. Zähe Stunden am Verhandlungstisch, auf Konferenzen, Tagungen und Anhörungen, lange Briefe und Anträge bei internationalen Umweltschutzorganisationen bestimmen heute den Arbeitsalltag der Schweizerin. Immerhin, inzwischen gibt es Schulungen für die Feuerwehren, um die immer häufiger auftretenden Waldbrände zu bekämpfen. Auch Umwelterziehung und Aufforstungsprojekte für Kleinbauern bietet die Initiative. Den Regenwald kann das jedoch nicht retten. Ende des Jahres läuft die Schonzeit ab. Wenn bis dahin keine Lösung gefunden wurde, dann rücken die Sägen vor, dann verschwindet auch diese Insel. Keiner weiß, ob das hoch verschuldete Paraguay die Summe aufbringen kann, um die Besitzer gerecht zu entschädigen und einen Nationalpark zu errichten. Von der Politik hält die Schweizerin nicht mehr viel – zu oft wurde sie im letzten Moment im Stich gelassen. Deshalb glaubt sie auch nicht an Hilfe vom UN-Forum, dass vom 19. bis zum 30. Mai in Bonn stattfindet. Dort treffen sich die 190 Vertragsstaaten der UN-Konvention über die biologische Vielfalt. 30 Milliarden Euro müssten laut einer Studie der Vereinten Nationen bis 2015 zusammen getragen werden, um weltweit Naturschutzgebiete auszubauen und bedrohte Arten zu retten. Nicht einmal ein Drittel des Geldes wurde bisher aufgebracht. Dass dabei für San Rafael etwas abfällt, ist schwer vorstellbar. „Wir sind selbst für Greenpeace zu klein“, bedauert Christine Hofstettler.

Letzter Halt: Sapucaí

„Wir erreichen Sapucaí. Dämmerung. Schon von Weitem sieht man den Bahnhof und die von den Bomben zerstörten Häuser, ein Loch, so groß wie ein kleiner Platz zerschneidet die Straße.“
Wer über den verlassenen Bahnhof von Sapucaí schlendert, der merkt sofort, wie sich Nationaldichter Roa Bastos hier für die Endzeitstimmung in seinem Roman „Hijo de Hombre“ inspirieren lassen konnte. Kniehohes Gras hat die verwaisten Schienen am Bahnhof fast völlig verschluckt, Kühe weiden auf den Rangierhöfen. Es ist still um das hölzerne Gebäude, totenstill. Zwei durchgerostete Lokomotiven stehen mitten in der Landschaft, Pflanzen bahnen sich den Weg durch ihre Stahlgerippe. Blecherne Lagerhallen hinter dem Bahnhof haben liebe Not damit, ihr eigenes Gewicht zu tragen - einst waren sie industrielles Zentrum Paraguays.
Alle Züge der einst so stolzen paraguayischen Eisenbahn wurden hier repariert, in Sapucaí, im Departement Paraguarí nahe der Cordillera. Englische Ingenieure hatten in den Bergen Wasser gefunden. Die enormen Quellen lieferten den Kühlstoff für drei mannshohe Öfen, in denen hunderte Engländer und Paraguayer Eisen für Ersatzteile erzeugten. Riesige dampfbetriebene Maschinen füllen die sich anschließenden Hallen noch heute aus. Die Männer verarbeiteten den Stahl zu Ersatzteilen für die bis zu 23 Lokomotiven, die in dem Land ihren Dienst verrichteten. Sapucaí entwickelte sich aber erst nach dem Tripel-Allianz Krieg zur Großwerkstatt. Die Bauarbeiten für einen Anschluss an das Schienennetz mussten 1864 gestoppt werden. Um Munition und Waffen zu gewinnen, schmolzen Militärs die bereits verlegten Gleise wieder ein. Die Siegermächte nahmen sich dann die übrigen Waggons und Lokomotiven. Der Krieg hatte die Entwicklung der Eisenbahn um Jahre zurückgeworfen.
Denn bereits 1854, 19 Jahre nach der ersten Bahnfahrt in Deutschland, wollte Präsident Carlos Antonio Lopez die stählernen Kolosse auch in Paraguay. Er schickte seine Söhne Francisco und Venacio in das Mutterland der Eisenbahn, nach England. Dort trafen sie auf John und Alfred Blyth, die sie dabei unterstützten. Zusammen mit weiteren englischen Ingenieuren planten sie, in Paraguay ein dichtes Eisenbahnnetz aufzubauen. Die Regierung stellte dafür 200.000 Goldpesos zur Verfügung, eine riesige Summe für die damalige Zeit. Doch das sollte sich auszahlen. Für die rund 50.000 Pfund Sterling kaufte Paraguay am 24.März 1956 alles Nötige in England, bereits am 14. Juni des Folgejahres fuhr die erste Dampflok durch Asunción. Die 415 Meter lange Strecke zwischen dem Zentralbahnhof an der heutigen Plaza Uruguaya und Arsenal im Nordwesten der Stadt war die vierte „Eisenbahnlinie“ Lateinamerikas. Bereits 1834 hatte man auf Kuba zwischen Havanna und Guinos eine Strecke errichtet, um Zuckerrohr von den Plantagen an den Hafen zu transportieren. 1850 folgte eine Linie in Mexiko und 1851 eine in Chile, bevor Paraguay an der Reihe war. Hier kam es dann am 21. Oktober 1861 zur feierlichen Eröffnung der ersten Strecke vom Hauptbahnhof bis Trinidad, dem heutigen Botanischen Garten. Eine Dampflok vom Typ 2´A1, die „Asunción“, machte sich auf den Weg. Sie steht noch heute im Bahnhof, wurde jedoch 1886 in „Sapucaí“ umbenannt.
Das Netz wurde schnell bis Luque, am 26. März 1862 bis Yparacaí, am 2. August 1864 bis Cerro León und schließlich bis nach Paraguarí ausgebaut, bevor der Krieg alles zunichte machte. Erst Brasilien ermöglichte 1870 mit einer kräftigen Finanzspritze die Wiederaufnahme des Zugverkehrs. Doch die Eisenbahngesellschaft hatte an Zugkraft verloren, sie wechselte einige Male den Besitzer, bevor sie am 27. April 1889 endgültig nach England verkauft wurde und sich von nun an „Paraguay Central Railway Company“ (F.C.C.P.) nannte. Diese baute das Netz weiter aus und tilgte die Schulden, die schwer auf der Gesellschaft lasteten. Immer wieder kam es zu Streiks, weil Löhne verspätet bezahlt wurden. 1910 wurden noch einmal 23 Loks angeschafft, welche die alten ablösten und bis heute in Betrieb sind. Bald waren Iturbe, Maciel, Sosa und Yegros am Netz, Encarnación folgte 1913. Bis Foz do Iguazu in Brasilien sollte gebaut werden, Ziel war ein internationales Eisenbahnnetz. Aus diesem Grund kaufte sich der Nordamerikaner Percival Farquhar in alle Streckennetze Südamerikas, damit auch in das paraguayische ein. Doch die Rezession in Argentinien 1914 ließ Farquhars ambitionierte Pläne scheitern, von nun an ging es stetig bergab mit der Bahn in Paraguay. Dringend notwendige Investitionen in das Streckennetz blieben aus, es kam zu schweren Unfällen, der Chaco-Krieg 1930-1932 unterbrach ein weiteres Mal den Ausbau. Die noch konkurrenzlose Bahn konnte ihre Monopolstellung nicht in bares Geld ummünzen. Entgleisungen und Verspätungen häuften sich, was zu Hohn und Spott anregte: „Die Paraguay Central Railway ist in einem sehr schlechten Zustand – meiner Meinung nach die einzige Eisenbahn der Welt, mit der Ochsenkarren erfolgreich konkurrieren können“, soll der amerikanische Handelsattaché William L. Schurz über das Unternehmen gesagt haben.
1959 rutschte die Gesellschaft vollends in die Pleite. Daraufhin leitete General Alfredo Stroessner den Rückkauf ein. Zum 21.10.1961, genau 100 Jahre nach dem ersten Personenverkehr in Asunción, wurde die Bahn wieder staatlich und nennt sich bis heute „Ferrocaril Presidente Carlos Antonio López“, kurz F.C.P.C.A.L. Aber auch der Diktator konnte das Ende des Dampfverkehrs nur hinauszögern, nicht aber verhindern.
Immer mehr Busunternehmen boten schnelleres, bequemeres und günstigeres Fortkommen im Land, der Staat teerte, wie etwa 1960 nach Encarnacion, lieber die Straßen als die Schienen auszubessern. Die Durchschnittsgeschwindigkeit der Eisenbahn sackte auf 23 Stundenkilometer ab, die der Güterzüge gar auf 12 km/h. Immer mehr Züge fielen aus, Strecken wurden sukzessive eingestellt.
Das Ende der Dampflokomotiven ist ein weltweites Phänomen, 1977 zog auch die Deutsche Bahn die Notbremse. In den Alpenländern hatte man schon in den 1960er Jahren auf Elektroantriebe umgestellt. Durch Wasserkraft gewonnene Elektrizität erwies sich als wesentlich billiger und zuverlässiger für den Schienenverkehr. Gleiches gedachte man übrigens auch in Paraguay zu tun - schließlich stehen hier die größten Kraftwerke der Welt – doch die Machbarkeitsstudien liegen bis heute bei den antiquierten Erinnerungen an die Zeit des Dampfkessels im Museum an der Plaza Uruguaya.
Nach einer Unterbrechung Anfang der 90er Jahre versuchte sich die Bahngesellschaft 1996 zum letzten Mal im Personenverkehr – ohne Erfolg. Lediglich in Encarnacion fahren heute noch dampfbetriebene Güterzüge nach Argentinien. Der Staat will jetzt mit einem Millionenzuschuss weitere, unter Wasser gesetzte Gleise wieder in Betrieb nehmen. Doch immer mehr Waggons und Lokomotiven wurden und werden aus dem Netz genommen und mussten immer öfter zur Reparatur nach Sapucaí, wo sie heute noch stehen. 160 Angestellte werden angeblich dort noch bezahlt. Sie fegen den Staub von den alten Maschinen, schlachten nach und nach die alten Loks aus, um wenigstens die 151 fahrtüchtig zu halten oder das Eisen gewinnbringend zu verkaufen. In Sapucaí entsteht der größte Dampflok–Friedhof der Welt.

Eckdaten der Eisenbahngeschichte Paraguays

1954: Präsident Carlos Antonio Lopez schickt seine Söhne nach Großbritannien.
1856: Für 50.000 englische Pfund kauft Paraguay Lokomotiven, Waggons und Zubehör.
1857: Die erste Lokomotive des Landes, die „Asunción“, rollt 415 Meter durch die Hauptstadt.
1861: Am 21. Oktober wird eine Strecke bis zum Botanischen Garten freigegeben.
1865: Der Triple-Allianz Krieg führt zur Vernichtung der Bahn.
1887: Ein englisches Konsortium kauft die Eisenbahngesellschaft und baut sie aus.
1910: Bis 1913 kauft die Bahn 23 neue Lokomotiven und legt die alten still.
1959: Der Bahn und ihrem desolaten Streckennetz droht der Konkurs.
1961: Zum 21.Oktober kauft Alfredo Stroessner die Bahn für 200.000 Pfund Sterling zurück
1996: Der reguläre Personenverkehr wird eingestellt

Einig uneins – Vapor Cué

In Vapor Cué erinnern stählerne Skelette an einen Krieg, der den Kontinent entscheidend geprägt hat.

„Paraguay ist vielleicht der wirtschaftlich erfolgreichste und mächtigste Staat der Region“, liest man in Quellen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die Wirtschaft florierte, das Land stand in guten Beziehungen mit dem Rest der Welt. Doch was der Vater aufbaute, zerstörte der Sohn. Francisco Solano López übernahm 1862 die Regentschaft von seinem Vater Carlos Antonio und führte Paraguay in den verheerenden Tripel-Allianz-Krieg. Während Brasilien und Argentinien 1864 in Uruguay die „Colorados“ bei einem Putschversuch unterstützten, hielt es Lopez mit den regierenden „Blancos“. Er befürchtete den Wechsel auch im eigenen Land und wollte den Zugang zum Meer. Bald schon hatte Paraguay allen dreien den Krieg erklärt.
Es sollte im Verhältnis zur Bevölkerungszahl einer der blutigsten Kriege der Menschheitsgeschichte werden, über zwei Millionen Menschen verloren ihr Leben. Paraguays Bevölkerung schrumpfte auf ein Viertel zusammen, nur noch 6000 Männer soll es 1870 im Land gegeben haben. Darüber hinaus ging rund die Hälfte der Fläche Paraguays verloren. Über sechs Jahre hinweg, bis zum Friedensvertrag am 20. Juni 1870, wehrte sich Lopez mit allen erdenklichen Mitteln gegen die unvermeidbare Niederlage. Kinder, Frauen und Greise wurden an die Front geschickt, Lopez’ Sohn fiel 15-jährig als Oberst. Der Diktator war bis zulezt nicht zur Aufgabe bereit, „vencer o morir“, sind die geflügelten Worte, die jeder mit dem General in Verbindung bringt. Familienmitglieder und Freunde, die ihn zur Aufgabe überreden wollten, wurden getötet. Selbst seine Mutter und seine Schwestern ließ er auspeitschen. An Aufgeben wollte der General nicht denken, auch nicht als er 1868 die Hauptstadt Asuncion verlor. Lopez mobilisierte die letzten Reste seines Reiches und fiel am 1. März 1870 in der Schlacht bei Cerro Cora, weil er sich der Gefangennahme widersetzte.
Doch Lopez hatte von Anfang an keine Chance. Zwar verzeichnete er zu Beginn einige Erfolge im dünn besiedelten Mato Grosso, doch war gerade die brasilianische Marine haushoch überlegen. Deren Artillerie zerstörte von den zahlreichen Flüssen aus das Land. Spätestens seit dem Kriegseintritt Argentiniens mussten die Paraguayer sich immer weiter zurückziehen – sie hinterließen meist ein Bild der Zerstörung.
Ein anschauliches Bild davon kann man sich bei Caraguatay machen, der selbsternannten „Stadt der Leser“. Etwa zwei Autostunden nordwestlich von Asuncion verbringen die Bewohner der Stadt viel Zeit mit Büchern, was einer christlichen Schule geschuldet ist. Etwa fünf Kilometer hinter der Stadtgrenze schließt sich der Nationalpark Vapor Cue an, ein Freilichtmuseum des Triple-Allianz-Krieges. Der geschichtsträchtige Ort inmitten der Einöde ist kaum bekannt und schwer zu erreichen, weswegen die Aktuelle Rundschau Ausflüge dorthin anbietet. Sechs Schiffe der Paraguayischen Kriegsmarine, oder das, was von ihnen übrig ist, stehen im Halbkreis um eine Helden-Statue und ein Gefallenendenkmal. 1869 flohen die paraguayianschen Streitkräfte vom Rio Paraguay über den Rio Manduvira und den Rio Yhaguy an diesen Ort. Der geringe Tiefgang ihrer Boote machte die Aktion möglich. Als sich die brasilianischen Streitkräfte näherten, zerstörten die Soldaten ihre Schiffe, auf dass sie nicht dem Gegner in die Hände fielen.
Erst vor 20 Jahren wurden die Dampfer wieder gehoben, von den meisten ist nicht mehr als die Feuerung und einige Planken übrig. Einzig die stählernen Gerippe des Raddampfers „Anhambay“ und des Schraubendampfers „Piraveve“ überlebten die Havarie. Die „Anhambay“, 1865 als Beutestück nach erfolgreichem Kampf gegen Brasilien in die Hände der Paraguayer gefallen, ist mit ihren 41 Metern Länge und 8 Metern Breite fast vollständig begehbar. Auch zwei Masten und der Schornstein wurden wieder errichtet. Von dem einstigen Prunkstück der Kriegsmarine aus hat man einen herrlichen Blick über die Gegend bis hinunter zum Rio Yhaguy, den einstigen Fluchtweg. Die etwas kleinere, aber ebenso fast gänzlich erhaltene „Pirabebe“ daneben, war einst ein englisches Handelsschiff, bevor sie in den Krieg zog. Mitten in der staubigen Einsamkeit wirken die Wasserkreuzer wie gestrandet und vergessen, tapfer trotzen sie dem Regen und der Sonne, ein aussichtsloser Kampf, so scheint es.
Wie Monolithen reihen sich neben den Schiffen vier große Öfen in den Sand, das Einzige, was von den anderen Booten übrig blieb. Die Soldaten wollten nichts zurücklassen. Sie sind heute mahnende Erinnerung an den blutigsten Krieg Lateinamerikas, der das Gesicht des Kontinents entscheidend geprägt hat.

Kulturen im Austausch

Vor über 80 Jahren begannen deutschstämmige Mennoniten in Paraguay einzuwandern, sie entdeckten den unwirtlichen Chaco als ihr „gelobtes Land“. Verfolgung und Intoleranz gegenüber ihrer Kultur und Religion hatte sie in dieses Exil getrieben. Die hiesige Regierung war froh, dass sich jemand diesem unwirtlichen und vermeintlich ungenutzten Teil ihres Landes annahm, und gewährte den Pionieren Sonderrechte. Aber die Mennoniten waren keinesfalls allein, und sicher nicht die ersten im Chaco. Mindestens neun verschiedene ethnische Gemeinschaften lebten und leben in dem Gebiet zwischen Brasilien, Bolivien und Paraguay – bis heute. Das Zusammenleben der verschiedenen Gemeinschaften gestaltete sich von Anfang an schwierig. Es kam immer wieder zu Zusammenstößen zwischen den verschiedenen indigenen Gruppen untereinander, aber auch mit den Mennoniten.
Noch immer leben im zentralen Chaco diverse indigene Ethnien, dazu kamen die Mennoniten, später mehr und mehr Paraguayer und jetzt auch Brasilianer. Es ist an der Zeit, sich diesem Austausch der Kulturen zu widmen, beschloss Wilmar Stahl, Anthropologe aus Filadelfia. Der Mennonit hatte in den USA studiert, bevor er sich zusammen mit der ASCIM, der 1973 gegründeten Indianisch-Mennonitischen Vereinigung, ans Werk machte. Jetzt hat er seine Ergebnisse in einem Buch veröffentlicht. „Culturas en Interacción“ heißt das spanisch-sprachige Werk, das bald auch auf Deutsch erscheinen soll. Es hat einen Wandel im Chaco gegeben, pflichtet ihm Eduard Klassen bei, der Vorstand der ASCIM. Die indianische Bevölkerung des zentralen Chaco wuchs in den letzten 50 Jahren von 3.500 auf rund 27.000 Personen, sie machen damit heute die Hälfte der heutigen Einwohner aus, Tendenz steigend. Die Mennoniten stellen noch rund 30 Prozent der Menschen in dem Gebiet - mit steigender Tendenz wandern Latino-Paraguayer ein. Dies ist vor allem den hohen Preisen für Fleisch und Soja geschuldet, aber auch der Infrastruktur der Mennoniten.
Und die Paradigmen haben sich gewandelt. Inzwischen müssen sämtliche politische Vertreter demokratisch gewählt werden, auch die Mennoniten organisieren sich in einer privaten Kooperative, der per Gesetz jeder beitreten kann. Die Kooperative produziert heute agro-industriell und ist zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor des Landes geworden. Für den Austausch und die Interaktion gelten heute völlig andere Vorzeichen als noch vor einigen Jahren, viele Dinge sind aber gleich geblieben, analysiert Stahl. Grundsätzlich denken Indigenas „event-zentriert“, während etwa deutschstämmige Personen zeit-zentriert leben, führt er aus. Das wird sich nicht so schnell ändern. In seinem Buch illustriert er diesen Gedankengang am Beispiel des „Tages der Indianer“, der alljährlich am 19. April stattfindet. Wo die einen einem strikten Zeitplan folgen, mit jeweils ausgeschriebenen Programmpunkten, kennen die Indigenas keinerlei zeitliche Programmatik. Jeder nimmt spontan teil, Programm ist, was gerade passiert.
So auch in diesem Jahr. Bei den Nivaclé-Indianern am Rande von Filadelfia gibt es keinen Zeitplan. Die Messe im Zentrum des Reservats beginnt, wenn der Priester zum Gebet ruft. Es kommt, wer gerade in der Nähe steht. Im Anschluss an den Gottesdienst dann ziehen einige Frauen tanzend zum überdachten Dorfplatz - christlicher Gottesdienst und indianischer Tanz, das zeigt die Trennung zwischen Kultur und Religion, erklärt Felix Ramirez, „maestro del education“ der Nivaclé.
Das Dorf kommt zusammen. Kinder stürmen von überall her, alte Frauen mit faltigen Gesichtern und wenigen Zähnen stampfen in einem fremden und geheimnisvollen Rhythmus, tanzen und singen. Immer mehr schließen sich an. Die meisten tragen traditionelle Kleidung, einige haben Holzstöcke in der Hand, an denen Glocken aus Tierknochen ertönen. Dann und wann lässt sich ein Schamane blicken und nimmt an dem jahrhundertealten Ritual teil.
Aber die Verkleidung kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch dieser indigene Stamm entwurzelt wurde. Die Nivaclé stellen zahlenmäßig die größte Gruppe im Chaco, fast 2000 Menschen leben in „Nivaclé Unida“. Die meisten davon in großer Armut. Viele ihrer Hütten sind provisorisch aus Pappe und Blech gezimmert, seit Jahren beherbergen sie ganze Familien. Kinder laufen barfuß durch schmutziges Wasser und spielen mit dem Müll, der sich auf dem staubigen Boden türmt.
„Es fehlt vor allem an Bildung und Einrichtungen für Kranke“, erklärt Felix Ramirez. Viele der Kinder besuchten bestenfalls die ersten Schulklassen, das genüge kaum, um ausreichend spanisch zu lernen. Die Familien brauchen das Geld und schicken die Kleinen schon früh zur Arbeit. Doch nicht alle finden einen Job bei den örtlichen Milch- und Fleischfabriken. Viele landen irgendwo auf den Feldern oder beim Straßenverkauf. Die ASCIM hat sich die Verbesserung der indianischen Ausbildung auf die Fahnen geschrieben, doch die Hilfe greift nicht überall. Ähnlich verhält es sich bei der Gesundheitsversorgung. „Bewusstseinsmachung“, vorbeugende Behandlung, lokale Gesundheitsposten und ein Krankenhaus wurden geschaffen, um die Not langfristig zu lindern. Aber auch hier kommt die Hilfe nicht immer an. „Versuchen Sie einmal, ein Kind ohne Geburtsurkunde in ein Krankenhaus einzuweisen“, wirft ein Vater ein. Wie viele der Kinder zu Hause geboren wurden und noch nie ein Hospital von innen sahen, kann keiner sagen.
Aber sie wollen sich nicht beschweren, sondern nach vorne blicken. Victor Perez, Präsident der Indianergemeinschaft FRIC in Yalve Sange, spricht von positiven Ansätzen und Zukunftschancen, die sich am Horizont auftun. Zwar befänden sich Kindersterblichkeit und Krankheiten wie die Tuberkulose auf hohem Niveau, doch sinken die Werte kontinuierlich. Auch das Recht auf eigenes Land und Ausbildung im Agrarwesen seien wichtige Fortschritte, die die einst nomadischen Völker entscheidend voran brachten und ihnen eine Zukunft im Chaco sichern sollen. Nur als Gemeinschaft könne man dem Staat auf Augenhöhe begegnen und Interessen adäquat vertreten. Dies gelte aber auch im Bezug auf andere Kulturen, mit denen sich die Indianer ihren Lebensraum heute teilen. „Solidarische Interdependenz“ und „Pluralismus“ lauten die Zauberworte, aber auch „Wettbewerbsfähigkeit“. Denn das Ziel, die verschiedenen Kulturen des Chaco zu erhalten, lässt sich nur verwirklichen, wenn diese auch langfristig selbstständig leben können.

Die vergessenen Frauen von Buen Pastor

Zum „guten Hirten“ werden Frauen gebracht, um sich zu bessern. Augustin Nuñez will ihnen die Möglichkeit dazu geben.

Leicht und vergnügt bewegt sich die 20-jährige Madaris auf der Bühne. Immer wieder kommt sie von der Bühne herunter, umarmt die Studenten von Augustin Nuñez, gibt ihnen Küsse und springt wieder zu ihren Tanzpartnerinnen zurück. Sie wirkt wie ein kleines Mädchen zwischen den alten Frauen um sie herum. Doch irgendwann wird sie selbst zu den alten Frauen gehören, das weiß sie. Noch 35 Jahre wird sie beim „guten Hirten“ bleiben. Sie hat vier Menschen getötet, „aus Mordlust“, wie es heißt. Madaris begreift ihre Tat nicht, kann sich unter „Schuld“ nichts vorstellen. Das hat ihr nie jemand erklärt. Und im Gefängnis reden sie über so etwas nicht, hier geht es ums Überleben. Die Schwachen bekommen als Letzte zu essen, dürfen nicht aufs Volleyballfeld oder an den Fernseher.
Augustin Nuñez kommt mit seinen Studenten ins Gefängnis, um Theater und Tanz zu machen, er sucht die Schwachen und Sensiblen. Das Projekt soll ihnen eine Richtung geben, in die sich die Gefangenen bewegen können. „Nach Jahrzehnten zwischen den hohen Mauern dreht sich alles im Kreis“, erzählen die Frauen. Einige wissen nicht einmal, wie lange sie schon hier sind und was sie einst verbrochen haben. Viele haben den Geist von Zehnjährigen, meist haben sie nicht einmal die Anklage verstanden - Spanisch haben sie erst im Knast gelernt.
Das macht auch den Studenten zu schaffen, die Geschichten für das „Radioteatro“ aufzeichnen. Immer und immer wieder müssen sie einzelne Sequenzen wiederholen, denn viele Frauen können nicht lesen, was im Drehbuch steht. Sie kommen aus den Chacaritas und den ländlichen Gebieten Paraguays, eine Schule haben sie nie von innen gesehen.
Aber sie verstehen die Geschichten, die das Theater erzählt. Sechzehn Kapitel sind es, die Nuñez inzwischen unter einfachsten Bedingungen im Inneren des Gefängnisses aufzeichnen ließ. Alle sind von Insassen geschrieben, drehen sich um das Leben in Gefangenschaft. Heute handelt die Geschichte von einer Tochter, die jeden Tag aus Spanien im Gefängnis anruft und sich mit ihrer Mutter austauscht. „Die Autorin der Geschichte hat schon seit Jahrzehnten keinen Besuch mehr empfangen“, weiß Nuñez. Mit ihren Mithäftlingen kann sie darüber nicht sprechen, das Drehbuch sei ihre Art, sich auszudrücken. Noch nie wurde sie verstanden, wurde ihr zugehört.
Auf Radio Viva 90.1 hören ihr die Paraguayer zu, immer montags zwischen 19 und 20 Uhr. Dann ist die Frau für einen Tag keine Schwerverbrecherin, sondern Drehbuchautorin, die die Leute berührt. Dieses Gefühl, einmal wie Autorinnen und Schauspielerinnen behandelt zu werden, ist das Wichtigste für die Frauen, wenn sie jeden Sonntag das Stück einüben. Die Studenten geben ihnen das Gefühl. Viele fühlen sich ungerecht behandelt, unschuldig. „Wir fragen nicht nach Schuld und Unschuld, für uns sind das einfach Schauspieler“, erklärt die 28-jährige Theaterstudentin Claudia. „Wer welche Strafe verdient, liegt nicht in meinem Ermessen“. Darüber wird an den Sonntagen nicht gesprochen. Schuld und Unschuld spielen für zwei Stunden die Woche keine Rolle. Auch wenn die Zahlen ernüchternd sind. Im Jahr 1995 saßen 117 Frauen im Gefängnis Buen Pastor an der Mariscal Lopez, lediglich fünf davon waren rechtskräftig verurteilt. Der Rest wartet, bis zu zehn Jahre.
Sechs Monate dauert das Projekt, Ende Juni findet es seinen Abschluss. Wie es weitergehen soll, das wissen die Frauen nicht. Sie machen sich über Zeit keine Gedanken. Das Projekt war seit langem das Einzige mit einem klaren Anfang und einem klaren Ende. Aber es wird ihnen fehlen, sich mit jemandem austauschen zu können, das wissen sie schon heute. Psychologen und Psychotherapeuten gibt es nicht, manchmal kommen Vertreter der Kirche. „Wir verrotten bei lebendigem Leibe“, sagt eine Gefangene. Die meisten können nicht einmal verstehen, warum.

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