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Mittwoch, 20. August 2008

„Wir sind keine Opfer, wir sind Überlebende“

3500 Opfer der Diktatur Alfredo Stroessners kann das „Museum der Erinnerungen“ inzwischen benennen. Der Kampf für die Folteropfer in Paraguay feiert Erfolge – und steckt herbe Rückschläge ein.


„Plötzlich wurde er unruhig. Er knetete seine Hände, sein Blick suchte einen Fixpunkt am Horizont. Jeder Muskel seines Körpers wirkte angespannt. Der Auslöser war eine Badewanne am Niederrhein.“ Hermann Schmitz erzählt von seinen Erfahrungen mit dem paraguayischen Folteropfer Martín Almada, der sich lange auch in Deutschland aufhielt. Schmitz selbst war von 1973 bis 1977 als Lehrer in Paraguay tätig. Genau in diesem Zeitraum erlitt Almada die schrecklichen Qualen der Folter während der Stroessner-Diktatur. „Ich bin quasi wöchentlich an dem Gebäude neben der Post vorbeigegangen, Martín saß drei Stockwerke tiefer im Verlies“, erzählt der Lehrer. Heute unterstützt er mit der deutschen Pro Paraguay Initiative die Aufarbeitung der Militärdiktatur, die eng mit dem Namen Almada zusammenhängt. Der 80-Jährige bezeichnet sich als „Kämpfer“, nicht als „Opfer“. 1974 wurde der Kämpfer für die Menschenrechte Opfer der „Operation Condor“. Geheimdienstmitarbeiter hatten ihn aus seinem argentinischen Exil entführt und nach Paraguay verschleppt. Nach drei Jahren Folter wurde er auf internationalen Druck hin entlassen. Seine Frau war unterdessen an einer Herzattacke gestorben – man hatte ihr Tonbandaufnahmen von ihrem Mann vorgespielt.
Lange waren die Umstände und Hintergründe der Operation Condor ungeklärt – bis ausgerechnet Almada 1992 in Lambare ein Terrorarchiv entdeckte, dass die grausame Zusammenarbeit der Conosur-Geheimdienste ans Licht brachte und Hinweise auf US-amerikanische und französische Unterstützung enthielt. Almada deckte mehr und mehr Archive auf, stieß auf Gefangenen-Akten, Tonmitschnitte der Verhöre und Namen der Folterknechte. Bis heute muss keiner der Täter Konsequenzen fürchten. Die Kommission für Wahrheit und Gerechtigkeit hat zwar weitgehende Rechte, Regierungsvertreter in der Kommission bremsen jedoch ihre Arbeit. Viele Täter genießen heute aufgrund politischer Ämter Immunität oder haben während der Diktatur genug Reichtum angehäuft, um sich heute dahinter zu verstecken.
Aus diesem Grund hat sich Almada nun dem Kampf gegen das Vergessen verschrieben. Hauptquartier der Kämpfer ist das „Museum der Erinnerungen“ in der Avenida Chile. Regelmäßig tauschen sich die „Überlebenden“ hier aus, diskutieren oder führen Besucher herum. Präsidentin María Stella Cácernes will in Zukunft mit der bekannten französischen Historikerin Dr. Sonia Combe zusammenarbeiten, die jüngst das Museum besuchte. Denn es ist noch viel zu tun an dem Ort der Erinnerungen. Einige Ausstellungsräume sind noch „in Arbeit“, immer wieder wurden Steine in den Weg geräumt, es gibt nur wenig staatliche Hilfe. Mit einfachen Mitteln stellen sie im ersten Raum das System Stroessner dar. Im zweiten Raum kann der Besucher sich einen Eindruck von der „Operation Condor“ machen. Amerikaner hatten die Folterknechte ausgebildet, an der Wand hängt eine Teilnehmerliste einer dieser „Fortbildungsveranstaltungen“. „Wir wollen die Schuldigen benennen“, erklärt Cácernes, „und die Opfer rehabilitieren“. Einen ganzen Raum füllen deren Namen bereits. Rund 3500 sind es im Moment, meint die Direktorin, „im Sommer werden noch einmal 500 Neue dazukommen“, sagt sie. „Rund 10.000 Opfer wird es insgesamt gegeben haben“, schätzt Cácernes. Ganz abgesehen von den „Verschwundenen“, die es wohl langfristig auch bleiben werden.
Schauerliche Folterinstrumente veranschaulichen die Qualen der Opfer. Zangen, mit denen Finger- und Zehennägel herausgerissen wurden, liegen neben einem Bunsenbrenner und einem Apparat, mit dem den Gefangenen Stromschläge zugefügt wurden. Im hinteren Teil kann der Besucher die alten kargen Zellen betreten und versteht im letzten Raum, was Martín Almada am Niederrhein Schauer über den Rücken laufen ließ. In einer Ecke steht die Badewanne, die mit den Exkrementen der Häftlinge gefüllt wurde. Tagelang wurde Almada wie viele andere darin „gebadet“, „dazu lief Musik von Wagner“, erinnert er sich. Noch heute ist seine Lunge verätzt. Diese Art von Folter war eine „Spezialität“ der paraguayischen Behörden.
Almada und einige seiner Genossen kämpfen um Anerkennung. „Wir sind keine Opfer, wir sind Überlebende!“ „Wir kämpfen für Gerechtigkeit und die Erinnerung“.
Erinnerung ist dazu da, um aus Fehlern zu lernen. Darum geht es in diesem Museum. Und es gibt noch viel zu lernen. Amnesty International hat festgestellt, dass Polizisten in diesem Land bis heute zu Foltermethoden greifen. Vor allem Bauernführer hatte es in der jüngsten Vergangenheit getroffen. Sie warten immer noch auf ihren Prozess. Das Innenministerium spricht von „einzelnen Fällen“ und stellt baldige Aufklärung in Aussicht. Das Zeitalter der Folter ist in Paraguay noch nicht überstanden – und droht schon jetzt in Vergessenheit zu geraten.

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